Leonharditag und Tölzer Leonhardifahrt: Geschichte und Bedeutung
Der Leonharditag am 6. November verbindet sich in Bad Tölz mit einer jahrhundertealten Wallfahrt, die ihre Wurzeln bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Diese Tradition entwickelte sich von wilden Umrundungen der Kapelle zu einer geordneten Prozession, die heute als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt ist.
Ursprünge und historischer Hintergrund
Die ersten dokumentierten Spuren der Leonhard-Verehrung in Bad Tölz finden Sie bereits 1418. Damals wurde ein Leonhards- und Georgsaltar in der Pfarrkirche Maria Himmelfahrt erwähnt.
Ein Eintrag im Verkündbuch aus dem 18. Jahrhundert belegt, dass 1772 bereits eine Fahrt zu Ehren des Heiligen Leonhard stattfand. Damals ritten und fuhren Bauern noch „wild“ um die Leonhardikapelle.
Die Kapelle wurde ursprünglich der Schmerzhaften Muttergottes gewidmet. Seit der Kirchweihe waren jedoch der Heilige Leonhard, der Heilige Joseph und der Heilige Johannes Baptist Nebenpatrone der Kirche.
Eine mögliche Tierseuche im Jahr 1742 könnte zu ersten Bitt-Prozessionen auf den Kalvarienberg geführt haben. Seit 1812 spricht man von der Leonhardikapelle, da die ursprüngliche Hauptpatronin in den Hintergrund geriet.
Heiliger Leonhard und seine Verehrung
Leonhard von Limoges war der Legende nach ein französischer Heiliger der Merowingerzeit. Er half Kranken und konnte durch sein Gebet die Ketten von Gefangenen sprengen.
Im gesamten Alpenraum verehren Sie den Heiligen Leonhard heute als Nothelfer und insbesondere als Viehpatron. Diese Entwicklung führen Experten auf die zunehmenden Wirkkräfte oberbayerischer Benediktinerklöster zurück.
Das traditionelle Gebet zu Sankt Leonhard lautet:
Sankt Leonhard,
wir bitten Dich,
leg Fürbitt ein
für Mensch und Viech.
In Bayern entwickelte sich eine besondere Verbindung zwischen dem Heiligen und der bäuerlichen Bevölkerung. Diese existentielle Bedeutung für die Landwirtschaft erklärt die tiefe Verwurzelung der Leonhard-Verehrung in der Region.
Entwicklung der Wallfahrt in Bad Tölz
1856 ordnete Pfarrer Pfaffenberger die bis dahin wilde Fahrt um die Kapelle. Seitdem findet die Tölzer Leonhardifahrt in nahezu unveränderter Form statt – mit Ausnahme der NS-Zeit und der Kriegsjahre.
Diese geordnete Struktur machte die Wallfahrt zur größten und bedeutendsten Leonhardifahrt. Sie erreichte überregionale Bekanntheit und zieht heute jährlich rund 25.000 Besucher an.
UNESCO-Anerkennung der Tölzer Leonhardifahrt:
- Juli 2016: Anerkennung als immaterielles Kulturerbe Bayerns
- Dezember 2016: Aufnahme ins bundesweite UNESCO-Verzeichnis
Die Wallfahrt hat etwa 80 Vierergespanne mit prächtig geschmückten Wägen. Kaltblutpferde ziehen die eisenbereiften Truhen-, Tafel- und Motivwägen vierspännig durch Bad Tölz auf den Kalvarienberg.
Ihre Originalität bewahrt die Wallfahrt durch jahrhundertealte Traditionen. Teilnehmer tragen wertvolle Originaltrachten, Bürgermeister und Stadträte erscheinen im Gehrock mit Zylinder.
Ablauf und Traditionen der Leonhardifahrt in Bad Tölz
Die Tölzer Leonhardifahrt folgt einem jahrhundertealten Ritual mit über 80 geschmückten Vierergespannen und mehr als 300 Pferden. Sie erleben eine festgelegte Prozessionsroute vom Maierbräugasteig über die Isarbrücke zur Mühlfeldkirche und schließlich zum Kalvarienberg.
Vorbereitung und Zugfolge
Die Vorbereitungen beginnen Wochen vor dem 6. November mit der traditionellen Verlosung der Zugfolge am 23. Oktober. Sie bestimmt die Reihenfolge der teilnehmenden Gespanne und Wagen.
Traditionelle Ordnung der Prozession:
- Bürgerliche Vorreiter mit Leonhardistandarte und Zylindern
- Wagen der Stadträte in Gehrock und Zylinder
- Gebirgsschützen und Vereine
- Wallfahrer in Festtagstrachten
Die Schulen bleiben geschlossen, damit alle Schüler als Teilnehmer oder Zuschauer dabei sein können. Geschäfte schließen für diesen wichtigsten Festtag von Bad Tölz.
Jeder Wagen wird prächtig geschmückt und mit dem aktuellen Leonhardizeichen versehen. Dieses begehrte Sammlerstück zeigt jährlich wechselnde Motive des Heiligen Leonhard.
Prozession und Stationen
Die Prozession startet am Maierbräugasteig und führt Sie über die Isarbrücke zur Mühlfeldkirche. Von dort geht es weiter zum Kalvarienberg mit der Leonhardi-Kapelle.
Auf dem Kalvarienberg findet der feierliche Festgottesdienst mit dem Pfarrer statt. Die Gespanne umfahren zweimal die Leonhardi-Kapelle, wobei Pferde und Wallfahrer den Segen empfangen.
Nach der heiligen Messe kehrt die Wagenprozession zur Mühlfeldkirche zurück. Die Rückfahrt erfolgt auf demselben Weg wie der Hinweg.
Am frühen Nachmittag versammeln sich die Goaßlschnalzer in der Marktstraße. Diese Burschen und jungen Männer lassen ihre Dreschgoaßln (Peitschen) rhythmisch knallen – ein spektakulärer Höhepunkt des Tages.
Rollen und Teilnehmer
Jeder Wagen hat eine feste Besatzung mit spezifischen Rollen. Der Fuhrmann lenkt das Gespann, während der Praxer als Bremser fungiert.
Teilnehmergruppen in Festtagstrachten:
- Kinder und Jungfrauen
- Verheiratete Frauen im Schalk
- Schützen und Blaskapellen
- Spielmannszüge
- Stadtratsmitglieder
Hohe geistliche Würdenträger nehmen regelmäßig teil, darunter war auch der spätere Papst Benedikt XVI. Politische Ehrengäste wie Bundespräsidenten und Bayerische Ministerpräsidenten besuchen die Wallfahrt.
Die Wallfahrt wird gemeinsam von örtlichen Vereinen, der Stadt und dem Pfarrverband getragen. Generationen von Familien nehmen seit Jahrhunderten teil.
Besonderheiten: Vierergespanne und Wagen
Über 80 Vierergespanne mit prachtvoll geschmückten Wägen bilden das Herzstück der Leonhardifahrt. Diese Truhen- und Tafelwagen sind kunstvolle Meisterwerke traditioneller Handwerkskunst.
Die Pferde werden speziell für diesen Tag hergerichtet und geschmückt. Ihre Ausrüstung folgt jahrhundertealten Traditionen der bayerischen Pferdekultur.
Jeder Wagen trägt religiöse Symbole und das jährliche Leonhardizeichen. Die Dekoration erfolgt nach überlieferten Mustern mit Blumen, Bändern und traditionellen Elementen.
Die Fuhrwerke erreichen erst in den späteren Abendstunden wieder ihre heimatlichen Höfe. Die Leonhardifahrt klingt mit spontaner Blasmusik aus, während die letzten Teilnehmer gemütlich einkehren.
Kulturelle und religiöse Einordnung des Leonharditags
Der Leonharditag hat sich von einer lokalen Bauernwallfahrt zu einem bedeutenden kulturellen Ereignis entwickelt, das internationale Anerkennung genießt. Die Veranstaltungen stärken die Gemeinschaftsbindung und ziehen hochrangige Persönlichkeiten aus Politik und Kirche an.
Anerkennung als immaterielles Kulturerbe
Die Deutsche UNESCO-Kommission hat die Leonhardifahrten als besonders schützenswerte Traditionen anerkannt. Diese Auszeichnung würdigt ihre jahrhundertelange Kontinuität und kulturelle Bedeutung.
Die UNESCO betont dabei die authentische Überlieferung der Bräuche. Besonders in Bayern gelten die Leonhardifahrten als lebendiges Beispiel für gelebtes immaterielles Kulturerbe.
Die Anerkennung verpflichtet Sie als Teilnehmer und Besucher, die Traditionen zu bewahren. Originale Trachten, historische Fuhrwerke und überlieferte Rituale bilden das Herzstück dieser Auszeichnung.
Bedeutung für die lokale Gemeinschaft
Die Leonhardifahrten verbinden Generationen miteinander und stärken die regionale Identität. Junge Menschen übernehmen Verantwortung als Fuhrleute oder Teilnehmer.
In Bad Tölz träumt jedes Mädchen davon, einmal auf einem Wagen mitfahren zu dürfen. Diese Tradition schafft emotionale Bindungen zur Heimat.
Die Wallfahrten fördern auch das Handwerk. Wagenbauer, Sattler und Trachtenerzeuger erhalten durch die jährlichen Veranstaltungen wichtige Aufträge.
Familien bewahren ihre Truhenwagen oft über Generationen hinweg. Diese Erbstücke werden das ganze Jahr über gepflegt und nur am Leonharditag eingesetzt.
Wichtige Persönlichkeiten und Gäste
Papst Benedikt XVI. würdigte während seiner Zeit als Kardinal die bayerischen Leonharditraditionen. Seine Anerkennung unterstrich die religiöse Bedeutung der Wallfahrten.
Politische Vertreter aus Bayern nehmen regelmäßig an den Fahrtenteil. Ministerpräsidenten und Landräte zeigen damit die staatliche Wertschätzung für diese Traditionen.
Internationale Gäste besuchen die großen Leonhardifahrten. Ethnologen und Kulturwissenschaftler dokumentieren die Bräuche für wissenschaftliche Zwecke.
Die Ehrengäste tragen sich traditionell ins Goldene Buch der jeweiligen Gemeinde ein. Diese Einträge dokumentieren die überregionale Ausstrahlung des Leonharditags.