Allerseelen: Entstehung, Text und Bedeutung
Richard Strauss vertonte 1885 Hermann von Gilms Gedicht „Allerseelen“ zu einem seiner bekanntesten Lieder, das die Verbindung von Liebe, Tod und Erinnerung in der deutschen Liedtradition meisterhaft verkörpert. Das Werk spiegelt sowohl die romantische Ästhetik des 19. Jahrhunderts als auch die tiefe Symbolik des katholischen Allerseelentags wider.
Hintergrund zu Richard Strauss und Hermann von Gilm
Sie begegnen in „Allerseelen“ der frühen Schaffensperiode von Richard Strauss, als er noch stark von der deutschen Romantik geprägt war. Der Komponist wählte 1885 das Gedicht des österreichischen Dichters Hermann von Gilm zu Rosenegg aus dessen Sammlung „Letzte Blätter“.
Gilm stammte aus Tirol und schrieb seine Verse in der Tradition der deutschen Spätromantik. Seine Lyrik zeichnet sich durch melancholische Grundstimmung und die Verbindung von Natur- und Liebesmotiven aus.
Strauss komponierte das Lied während seiner Zeit als Kapellmeister in Meiningen. Es entstand als Teil seiner frühen Liedzyklen, bevor er sich den großen Opern zuwandte. Die Vertonung zeigt bereits seine Meisterschaft im Umgang mit der deutschen Lieder-Tradition.
Analyse des Liedtextes: Motive und Symbolik
Der Text beginnt mit der Aufforderung „Stell auf den Tisch die duftenden Reseden„. Diese fragrant mignonettes symbolisieren zarte Erinnerungen an die Vergangenheit. Die red asters („roten Astern“) verstärken die herbstliche Atmosphäre des Totengedenkens.
Das lyrische Ich fordert die Geliebte auf, das Haus zu schmücken wie zu Lebzeiten. Die Verse „wie einst im Mai“ verweisen auf die Blütezeit der Liebe. Der Mai steht symbolisch für Jugend und Leidenschaft.
Zentral ist die Vorstellung, dass an diesem Tag im Jahr die Toten frei sind. Das Grab wird verlassen, um in die Welt der Lebenden zurückzukehren. Die süßen Blicke („sweet glances„) evozieren die Intensität vergangener Momente.
Bedeutung von Mai, Liebe und Erinnerung im Lied
Der Mai fungiert als emotionaler Höhepunkt der Erinnerung. Sie erkennen darin das Symbol für die Vollendung der Liebe, wenn alles „blüht“ und lebendig ist. Diese Zeit steht im starken Kontrast zur Gegenwart des Allerseelentags.
Die Liebe überwindet im Lied die Grenzen des Todes. Das Herz bewahrt die Verbindung zur verstorbenen Geliebten. Strauss unterstützt diese Botschaft durch seine einfühlsame Harmonik.
Erinnerung wird zur Brücke zwischen Leben und Tod. Die rituellen Handlungen – das Aufstellen der Blumen, das Herrichten des Zimmers – schaffen einen sakralen Raum. In diesem kann die Vergangenheit für einen Moment wieder lebendig werden.
Musikalische Gestaltung und Aufführungen von Allerseelen
Richard Strauss komponierte Allerseelen ursprünglich für Singstimme und Klavier, doch das Werk erfuhr zahlreiche Bearbeitungen für verschiedene Besetzungen. Die Aufführungsgeschichte zeigt sowohl intime Liederabende als auch große Orchesteraufführungen.
Originalbesetzung: Stimme und Klavier
Strauss schrieb Allerseelen als Teil seiner Acht Lieder Op. 10 für Singstimme und Klavier. Diese Originalfassung betont die intime Atmosphäre des Gedichts von Hermann von Gilm.
Das Klavier übernimmt eine tragende Rolle und schafft die melancholische Grundstimmung. Die Begleitung verwendet wiederkehrende Harmonien, die den Text unterstützen.
Sie finden das Werk häufig in Liederabenden neben anderen Strauss-Liedern wie Zueignung oder Die Nacht. Diese Kombination zeigt Strauss‘ frühe Meisterschaft im Liedschaffen.
Die Sopranstimme wird am häufigsten gewählt, obwohl auch Mezzosoprane und Tenöre das Werk interpretieren. Die Gesangslinie erfordert sowohl technische Sicherheit als auch emotionale Tiefe.
Orchestrierungen und Bearbeitungen
Verschiedene Komponisten haben Allerseelen für unterschiedliche Besetzungen arrangiert. Eine bekannte Blasorchester-Bearbeitung von Albert Oliver Davis orientiert sich eng am Original und hebt die Melodielinie hervor.
Die Orchesterfassungen nutzen verschiedene Instrumentengruppen zur Klanggestaltung. Oboe und Klarinette übernehmen oft melodische Linien, während Fagott und tiefe Streicher die harmonische Grundlage schaffen.
Blechbläser wie Posaune und Tuba werden sparsam eingesetzt, um die intime Stimmung zu bewahren. Pauken und Schlagwerk finden nur selten Verwendung.
Einige Bearbeitungen erweitern die Instrumentation um Flöte und Harfe. Diese Zusätze verstärken den elegischen Charakter des Werkes.
Berühmte Interpretationen und Aufführungen
Allerseelen gehört zum Standardrepertoire vieler Sänger und wird regelmäßig in Konzerthäusern weltweit aufgeführt. Die Aufführungen reichen von intimen Kammerkonzerten bis zu großen Orchesterkonzerten.
Bedeutende Interpretationen entstanden sowohl in der ursprünglichen Klavierfassung als auch in orchestrierten Versionen. Viele Aufnahmen dokumentieren die unterschiedlichen Interpretationsansätze.
Kirchliche Performances zu Allerheiligen und Allerseelen nutzen oft die spirituelle Dimension des Werkes. Diese Aufführungen verbinden Strauss‘ Musik mit liturgischen Elementen.
Die Operabase verzeichnet regelmäßige Aufführungen in verschiedenen Besetzungen. Das Werk bleibt ein fester Bestandteil des Liedrepertoires und wird sowohl von etablierten als auch von jungen Künstlern interpretiert.